Interview mit Aitor Ibarrola und Nunzio Annese
Fokusthema Wasser
Interview mit Aitor Ibarrola (Bereichsleiter bei Wasserbetriebe Lausanne) und Nunzio Annese (Abteilungsleiter bei Wasserbetriebe Lausanne)

Wenn Herr und Frau Schweizer an Wasser denken, kommt ihnen wahrscheinlich vor allem das Wasser in den Sinn, das zuhause aus dem Wasserhahn fliesst. Doch welche Arbeiten sind für die Aufbereitung nötig, bis das Wasser beim Hahn ankommt und getrunken werden kann? Aitor Ibarrola (Chef de Division au Service de l’eau de la Ville Lausanne): Das Wasser stammt aus verschiedenen Ressourcen, dementsprechend unterschiedlich ist das Prozedere. Beim Quellwasser erledigt grösstenteils die Natur die Arbeit, also den Prozess der Mineralisierung und Filtration. Eine minimale Desinfektion des Wassers reicht bei Quellwasser meist aus, um die nötige Qualität sicherzustellen. Bei der Gewinnung von Trinkwasser aus Oberflächengewässern – also aus Seen oder Flüssen – ist eine komplexere Aufbereitung erforderlich. Vereinfacht am Beispiel von Lausanne erklärt: Am Lac Leman wird das Trinkwasser in zwei Fabrikanlagen mittels Ultrafiltration aufbereitet und anschliessend von allfälligen Bakterien desinfiziert. Während der Verteilung im Netz wird dem Wasser ein ganz kleiner Anteil an Chlor beigemischt, um sicherzustellen, dass das Wasser vom Netz bis zur Verteilung desinfiziert ist. Die Lebensdauer dieses Chlors beträgt ein bis zwei Tage – das entspricht der Dauer, die das Wasser braucht, um von der Aufbereitung bis zur Konsumation an den Wasserhahn zu gelangen. Wie ist die Verteilung des Wassers in der Schweiz organisiert, beziehungsweise wer ist dafür verantwortlich? Aitor Ibarrola: In der Schweiz wird ein föderales System praktiziert. Der Bund stellt Verordnungen auf, die hauptsächlich jene Aspekte umfassen, welche in Zusammenhang mit der sanitären Qualität des Wassers stehen. Danach liegt es an den Kantonen, aufgrund dieser Verordnungen Gesetze festzulegen. Im Kanton Waadt beinhaltet das Gesetz mehrere Aspekte, zentral ist vor allem die soziale Komponente: Die Regelung der Entnahme, der Verteilung und der Verwaltung. Oder anders gesagt: Die Wasserversorgung für den menschlichen Konsum und für die Brandbekämpfung muss sichergestellt werden. Die Gemeinden sind mit dieser Verantwortung betraut. Sie stellen ihre eigenen Regeln auf, mit denen sie die Wasserversorgung organisieren. Von Kanton zu Kanton und von Gemeinde zu Gemeinde können sich die Bedingungen unterscheiden, insbesondere bezüglich der Eigentumsverhältnisse. In Lausanne ist zum Beispiel die Stadt Eigentümerin der Hauptanlagen. Die Leitungen von den Hauptanlagen bis zu den privaten Anschlüssen sind hingegen private Installationen – die Besitzer finanzieren diese und sind dafür verantwortlich. In anderen Kantonen können diese Installationen von öffentlichen Körperschaften getragen werden. Dieses Subsidiaritätsprinzip ermöglicht es, die Verantwortung so weit wie möglich nach unten zu verlagern, damit die verantwortlichen Personen in den Gemeinden sich engagieren und sich einbringen, um ein eigenes System zu entwickeln, das den individuellen Anforderungen entspricht. Diese Verantwortung kann bisweilen für einzelne Gemeinden zu aufwändig sein und sie delegieren diese weiter. In der Region Lausanne haben wir seit sehr vielen Jahren Konzessionsverträge mit 19 Gemeinden. Für diese Gemeinden übernehmen wir die Verantwortung für die Trinkwasserverteilung sowie für das für den Brandschutz notwendige Wasser. In den letzten Jahren war in der Schweiz ab und zu von Wasserknappheit die Rede. Was muss man sich darunter vorstellen? Und kommt das oft vor? Nunzio Annese (Chef d’unité au Service de l’eau de la Ville Lausanne): Besonders aufgefallen ist uns das im letzten Jahr (2022). Den Lac de Bret – neben dem Lac Leman der wichtigste Trinkwasserspeicher für die Stadt Lausanne – habe ich noch nie mit so einem tiefen Wasserpegel gesehen. Das war besorgniserregend. Aitor Ibarrola: Seit etwa 15 Jahren sind punktuelle Ereignisse feststellbar, die sich wiederholen. Ich erinnere ich mich an den heissen Sommer 2003, der quasi den Anfangspunkt dieser Entwicklung markierte. Denn vor 2003 war die Schweiz 40 Jahre lang mit keinem solchen Hitzesommer konfrontiert gewesen. Der Wassermangel ist auch im Herbst spürbar, wenn die natürlichen Ressourcen knapp sind und nicht wieder ausreichend nachgefüllt werden. Manche Gemeinden in der Schweiz mussten ihre Bewohnerinnen und Bewohner bitten, das Bewässern der Gärten, das Autowaschen etc. zu unterlassen. Wir in Lausanne hatten Glück, da wir von der Bevölkerung keine solchen Einschränkungen verlangen mussten. Aber: Wir haben die Entwicklungen im letzten Jahr genau beobachtet, weil die Produktionskapazitäten der Wasserwerke am Ufer des Lac Leman fast das Maximum ausschöpften. Wir haben die Lage täglich überwacht und waren bereit, Massnahmen einzuführen, um die Konsumation einzuschränken, wenn sich das als notwendig erwiesen hätte. Das war ein heikler Moment und das erste Mal, dass wir mit einem solchen Szenario konfrontiert waren. Der Klimawandel nimmt auch bei uns Einfluss auf die Verfügbarkeit von Wasser. Zudem führen diese Hitzeperioden dazu, dass ein erhöhter Verbrauch von Wasser stattfindet, was das Problem natürlich verschärft. Einerseits ist weniger Wasser vorhanden, andererseits wird mehr verbraucht. Nunzio Annese: Man muss aber auch erwähnen, dass wir heutzutage mit dem Wasserverbrauch sensibler umgehen als noch vor zehn Jahren. Es beschäftigt uns deutlich mehr als in der Vergangenheit und wir achten beispielsweise darauf, dass bei der Wiederinbetriebnahme einer Leitung mit grossem Durchmesser nicht zu viel Wasser verloren geht. Wir achten ebenfalls darauf, dass wir Toträume entleeren: Zum Beispiel installierten wir in den letzten zwei Jahren Bewässerungsventile, um den Abfluss aus den Brunnen in der Nacht zu stoppen. Wurden aufgrund der alarmierenden Entwicklungen bereits konkrete Massnahmen ergriffen und darauf basierende Krisenpläne erstellt? Aitor Ibarrola: Es existieren bereits definierte Abläufe, wie wir im Falle von nötigen Restriktionen vorgehen. Zunächst wird die Bevölkerung gebeten, beim Wasserverbrauch achtsam zu sein. Als nächster Schritt können Verbote ausgesprochen werden, zum Beispiel ein Autowaschverbot oder ein Verbot, den Garten zu bewässern. Was das Krisenmanagement betrifft, sind wir ebenfalls vorbereitet. Jedoch basieren diese Krisenübungen eher auf der Grundlage eines Strommangels. Denn ein grosser Teil unseres Wassers in Lausanne stammt aus den Seen, wo für die Aufbereitung und das Pumpen Strom benötigt wird. Wenn also das Szenario eintreffen sollte, dass die Stromversorgung der ganzen Stadt Lausanne zum Erliegen kommt, käme eine ganze Reihe von autonomen Geräten zum Einsatz, die mit Notstrom funktionieren. Auch für andere Szenarien haben wir Krisenübungen, sogenannte Stresstests, durchgeführt: zum Beispiel, wie das Wasser im Falle von Erdrutschen – oder wenn eine wichtige Leitung brechen würde – umgeleitet werden müsste. Sind auch langfristige Massnahmen aufgegleist worden, damit die Wasserknappheit in den kommenden Jahren nicht zum grossen Problem wird? Aitor Ibarrola: Wir möchten den Einfluss der globalen Erwärmung auf die mittel- und langfristige Entwicklung der Wasserressourcen messen. Solche Untersuchungen werden uns bei der Beurteilung von anstehenden Investitionen helfen. Denn die Erneuerung der Leitungen von zwei unserer grossen Quellen in Pays-d’Enhaut und Pont de Pierre steht an. Diese Leitungen sind sehr lang und mehr als 120 Jahre alt. Wir werden mehrere zehn Millionen Franken in ihre Erneuerung investieren müssen. Diese Investition ist insbesondere durch den aktuellen Durchsatz gerechtfertigt, gemäss dem diese Quellen zusammen rund 20'000 Liter pro Minute liefern und deshalb als notwendig erachtet werden. Wir werden eine Forschungsinstitut damit beauftragen, zu untersuchen, wie sich die globale Erwärmung mittel- und langfristig auf die Wassermenge dieser Quellen auswirkt. Denn diese Investition sollte für die nächsten 100 Jahre ausreichen. Es würde darum keinen Sinn machen, neue Leitungen zu verlegen, wenn für diesen Zeithorizont eine deutlich geringere Wassermenge prognostiziert werden würde. Die Resultate dieser Studie werden uns auch wichtige Informationen zu der Qualität des Wassers liefern und wie wir diese auch in Zukunft bereitstellen können.

Man hört hie und da den Begriff Wasserverlust. Was ist damit gemeint und was kann dagegen unternommen werden? Aitor Ibarrola: Die Ursache sind beschädigte Leitungen. Wir setzen ein darauf spezialisiertes Team ein, das mithilfe von bestimmten Mikrofonen Leitungslecks ausfindig macht (Beschleunigungsmesser). Dank dieser Bemühungen können wir Lecks frühzeitig verorten und schliessen. Heute haben wir in Lausanne eine Verlustrate von unter 10 Prozent. Im schweizerischen Vergleich ist das ein guter Wert, der Durchschnitt liegt etwa zwischen 10 und 15 Prozent. Im Ausland gibt es Regionen, die ebenfalls grossen Wert auf möglichst wenig Wasserverluste legen, weil sie sich der Wichtigkeit bewusst sind. In manchen Städten hingegen ist weniger Sensibilität dafür vorhanden und weisen eine Verlustrate von 40 Prozent oder mehr auf. In diesem Zusammenhang muss auch festgehalten werden, dass der Wasserverlust an sich finanziell relativ verkraftbar ist, er aber zu grossen Folgeschäden führen kann. Lecks können die Auslöser für massive Schäden an Strassen oder Gebäuden sein. Nunzio Annese: Wir spüren auch die Lecks an privaten Leitungen auf, die eigentlich nicht in unserer direkten Verantwortung liegen und weisen die Besitzer darauf hin, dass die Lecks repariert werden müssten. Auch wenn sie für den Service de l’eau vermutlich keine extremen finanziellen Einbussen zur Folge haben, finde ich es trotzdem wichtig, dass Trinkwasser nicht einfach so im Boden versickert. Jedenfalls konnten wir viele Leute in Bezug auf diese Wasserverluste sensibilisieren. Was ist Wasserdiebstahl und ist das in der Schweiz ein Thema? Welche Probleme sind damit verbunden? Aitor Ibarrola: Dass Personen illegal von Hydranten Wasser abzapfen, kommt auch in der Schweiz vor, ja. Da die Feuerwehr im Notfall rasch und einfach Zugriff darauf haben muss, ist es auch für andere Leute relativ leicht, Wasser abzuzapfen. Zwar kommt es nur selten zu solchen Diebstählen, doch wir stören uns dennoch daran. Denn zum einen kann darunter die Qualität des Wassers leiden, weil die Gefahr einer Rückspeisung von verschmutztem Wasser in das Trinkwassernetz besteht. Zum anderen ist es uns wichtig, dass das Wasser als hochwertiges, lebensnotwendiges Produkt angesehen wird, das man nicht einfach ohne Bewilligung in grossen Mengen entnehmen kann. Nunzio Annese: Zudem ist die illegale, nicht sachgemässe Entnahme immer riskant, da sie Schäden an der Infrastruktur Schäden verursachen kann. Die Verschlüsse funktionieren dann zum Beispiel nicht mehr korrekt. Nicht der Diebstahl an sich ist das grosse Problem, sondern die Schäden, die daraus resultieren können. Blick in die Zukunft: Müssen wir uns Sorgen machen, dass auch hier in der Schweiz das Wasser in Zukunft knapp wird? Nunzio Annese: Ich denke ja. Wie anfangs aufgezeigt, häufen sich die Trockenperioden in den letzten Jahren. Das ist ein Zeichen für eine Veränderung. Das beunruhigt mich schon und wir müssen uns Gedanken über Lösungen machen. Aitor Ibarrola: Wir müssen in der Tat die Entwicklungen aufmerksam beobachten. Nur weil wir momentan in einer Umgebung mit ausreichend Wasser leben, bedeutet das nicht, dass dies für immer so bleiben wird. Gerade bei uns in Lausanne hat man mit Blick auf den Lac Leman das Gefühl, dass Wasser in unendlichen Mengen vorhanden sei. Aber der See macht zwischen 50 und 60 Prozent unserer Ressourcen aus. Den Rest beziehen wir aus anderen Quellen, die stärker von der Klimakrise beeinflusst werden. Und ich habe vorhin von Krisensituationen gesprochen: Wenn wir mit einem Stromausfall von grösserem Ausmass oder der Verschmutzung des Sees konfrontiert wären, müssten wir uns auf diese Quellen verlassen können. Wenn die Wassermengen dieser Quellen aber rückläufig sind, geht diese Absicherung verloren. Jedenfalls sind wir stark bemüht, uns bestmöglich auf diese wichtigen Herausforderungen vorzubereiten, indem wir Studien, Analysen und Prognosemodelle durchführen. Andere Regionen stehen vor anderen Problemen. Dieses Jahr (2023) gab es in der ganzen Schweiz von Januar bis Ende Februar fast keinen Niederschlag. Das ist die Periode, in der eigentlich die Grundwasserauffüllung stattfindet, die für den ganzen Sommer ausreichen sollte. Ich mache mir Sorgen um die Menschen, die auf das Grundwasser angewiesen sind. Es besteht das Risiko, dass der Grundwasserspiegel selbst bei einem nicht sehr heissen Sommer tief liegen wird und es zu Problemen bei der Versorgung kommen könnte. Was fasziniert Sie persönlich an Wasser? Nunzio Annese: Mir wurde erst während meiner Ausbildung wirklich bewusst, wie essenziell Wasser für unser Leben ist. Ich finde es wunderbar, meinen Beitrag dazu zu leisten, qualitativ hochstehendes Trinkwasser zu den Menschen zu bringen. Es erfüllt mich mit Stolz, ein Teil davon zu sein.
Aitor Ibarrola: Ja, Stolz ist das entscheidende Wort. Ich sehe jeden Tag den direkten Nutzen unserer Arbeit. Eine öffentliche Dienstleistung im Interesse der Gemeinschaft zu erbringen, ist für mich sinnstiftend. Ich bin in der Schweiz geboren, aber meine Familie stammt aus einer trockenen Gegend in Südspanien, in der Region der Stadt Murcia. Die Landwirtschaft ist dort stark von den Wassermengen abhängig. Ich reise regelmässig dorthin, da wird einem die Wichtigkeit des Wassers viel deutlicher bewusst als in der Schweiz. Man schätzt Dinge mehr, wenn sie rar sind. Für mich ist Wasser Leben.
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